Donnerstag, Oktober 10, 2024

Ayin-i Cem

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Die Alevitische Religionsgemeinschaft wurde bis zum 16. Jahrhundert stark durch den Orden der Safaviden beeinflusst und wendete sich später zum Bektas-i Orden, dessen Gründer Hünkar Bektas Veli war und ist bis Heute von zentraler Bedeutung im Alevitentum. Dies kann anhand religiöser Schriften aus dem Zeitraum nachvollzogen werden.

Das Ayin-i Cem wurde aufgrund Verfolgungen etc, über längere Zeiträume geheim ausgeübt, was zu unterschiedlichen Ritualpraktiken in den verschiedenen Regionen führte. Es gibt nicht nur Unterschiede zwischen Aleviten in Deutschland und in der Türkei, sondern auch innerhalb der Türkei zwischen Stadt und Land. Ebenso führten die Verfolgungen und Massaker zu einigen Schutzmechanismen der Aleviten, zum Beispiel das Heiratsverbot mit Nicht-Aleviten. In den 1990er Jahren kam es dann zu einer Wiederbelebung des religiösen Bewusstseins und zu Bestrebungen die rituellen Handlungen zu vereinheitlichen, um nach innen und außen eine einheitliche Religionsgemeinschaft zu präsentieren. Der kleinste Gemeinsame Nenner, die wichtigste Gemeinsamkeit der Aleviten ist das Ayin-i Cem, welches die zentrale Funktion der Gemeinschatfsbildung erfüllt. Das Wort Ayinstammt aus dem Persischen und bedeutet „Regel bzw. Zeremonie“ und das Wort Cem bedeutet „Zusammentreffen einer Vielzahl von Menschen“, dh. Ayin-i Cem heißt „die Zeremonie des Zusammentreffens“.
Die Entstehung des Ayin-i Cems wird durch eine bekannte Überlieferung innerhalb des Alevitentums hergeleitet, in welcher die Himmelfahrt Muhammeds dargestellt wird, nachdem er auf die Versammlung der Vierzig trifft. Das ganze heißt auf türkisch „kirklar cemi“ und gilt als Ur-Cem. 
Es gibt viele verschiedene Variationen des Ayin-i Cem:  

  • Das Ibadet ve Ögreti Cemi, das Cem der Lehre, welches auch die Möglickeit bietet Streit zu schlichte.
  • Das Ikrar Cemi, welches zur Bekenntnis dient, das heißt zur Aufnahme in die religiöse Gemeinschaft.
  • Das Musahiplik Cemi, welches zur Schließung der Wahlgeschwisterschaft dient.
  • Das Görgü Cemi, das Cem der Rechenschaft. Hier werden die Gelübte der Wahlgeschwisterschaften erneuert und Streitigkeiten geschlichtet.
  • Das Düskünlük Cemi, also das Cem des Ausschlusses und das Dardan Indirme Cemi, welches für die Trauerfeierlichkeit verstorbener dient.
  • Ausserdem gibt es Cems an den Fastentagen, nach dem Muharrem Monat und nach dem Hizir Monat.Oftmals gibt es auch Kombinationen der verschiedenen Cem Variationen.

Traditionell fanden Cems in der Nacht von Donnerstag auf Freitag statt, was Heute nur noch selten gemacht wird, da der Freitag ein Arbeitstag ist. In der heutigen Zeit finden Cems eher Nachmittags an Wochenenden statt und die Dauer eines Cems beträgt circa zwei bis drei Stunden, was damals deutlich länger war. Die Cemzeremonien finden in Cem-Häusern statt, aber es ist auch durchaus möglich sie in Privaträumen durchzuführen. Bevor das Cem beginnt, wird eine Sitzgelegenheit für den Dede(Geistlichen) eingerichtet und die Fläche vor dem Geistlichen frei gehalten, diese Fläche nennt sich Meydan, dort werden die verschiedenen rituellen Handlungen ausgeübt. Die Teilnehmer des Cems setzen sich auf den Boden, um diese Fläche herum, Männer und Frauen gemischt. Alte und Kranke dürfen sich auf Stühle setzen und das Cem wird meistens auf türkisch ausgeführt. Die Teilnehmer hören den Belehrungen des Geistlichen, dem Spiel der Langhalslaute und religiösen Gesängen zu, dh. die Lehre wird in einer Art von Vortrag begleitet von Musik weitergegeben. Außerdem üben Teilnehmer die12 Hizmet(12 Dienste)aus. Der Religiöser Tanz,Semahist in das Geschehen aktiv involviert. Das Opfer, das im Vorfeld geschlachtet wird, wird im Cem mit einem Gebet abgesegnet und am Ende des Cems als gemeinsame Mahlzeit serviert.

Ein zentrales Element des Ayin-i Cem sind die zwölf Dienste, ohne diese Dienstpflichten kann kein Cem stattfinden. Sie sitzen permanent im Cem und treten wiederholt in Aktion indem sie das Meydan betreten und Gulbang(Segensgebete) vom Dede erhalten. Die Dienste werden entweder vor dem Cem ausgewählt oder während des Verlaufs bestimmt.

Die zwölf Dienste verteilen sich wie folgt:

1.) Dede (Ritualleiter)

2.) Rehber (Stellvertreter des Dede)

3.) Zakir (Spieler der Langhalslaute Saz und Sänger)

4.) Gözcü (Ordnungswächter)

5.) Kapici (Bewacher der Tür)

6.) Kurbanci (Schlachter des Opfertieres)

7.) Ceragci (Lampenwart)

8.) Süpürgeci (Feger)

9.) Postcu (Schafsfellträger)

10.) Ibrikci (Wasserkrugträger)

11.) Sakka (Wasserträger)

12.) Semahci (Tänzer des Semah)

Das Ayin-i Cem beginnnt,  indem sich die Gemeinschaft versammelt, der Dede am Podest Platz nimmt und ein Gebet zur Eröffnung des Cems spricht. Daraufhin beginnt der Dede mit dem Aciklama(Unterweisung), welche zum Teil der Lehrfunktion innerhalb des Versammlungsrituals gehört. Hier werden meist religiöse Fragen erläutert, über Tagesgeschehen gesprochen, moralische Grundsätze, Gleichheit von Mann und Frau, die Bedeutung des Cems uvm.

Nach dem Aciklama ruft der Dede den SüpürgeciDienst vor zum Meydan, meist sind es zwei bis drei Personen. Dieser Dienst besteht darin, den Meydan mit einem kleinen Feger symbolisch von Sünde und Übel zu reiningen und ein Gebet auszusprechen, um danach „sauber“ den Gottesdienst beginnen zu können. Das ganze bildet den Auftakt zu allen Dienstpflichten. Sobald die Personen, die den Süpürgeci Dienst machen, ihr Segensgebet vom Dede bekommen, setzen sie sich wieder auf ihre Plätze. Daraufhin wird der Dienst des Postcuvorgerufen. Diese Person legt ein Schafsfell vor den Dede und gibt währenddessen sein/ihr Gebet ab. Dieser Dienst dient zur Symbolisierung der Präsenz der verehrten Personen.

Nach diesen zwei Diensten kommt es zum Baristirma(Versöhnung) im Cem. Das heißt, sollte es zwischen zwei oder mehreren Parteien, die am Cem teilnehmen, Streitigkeiten bzw. Unstimmigkeiten geben, so muss es vorgetragen werden und der Dede schlichtet den Streit. Denn ein Cem kann nur beginnen, wenn es keine Streitigkeiten untereinander gibt und alle eins sind miteinander. Nach einer möglichen Streitschlichtung beginnt der Zakir ein bestimmtes Lied (Oniki Hizmet Deyisi) vorzutragen, in dessen zwölf Strophen jeweils ein Dienst genannt und somit zum Meydan vorgerufen wird. Sobald das Lied zu Ende ist, stehen alle zwölf Dienste im Meydanvor dem Dede, kriegen ihr Segensgebet und setzen sich wieder auf ihre Plätze.

Daraufhin beginnt der Dienst des Ciragci,welcher die drei Kerzen, die sich vor dem Dede befinden mit einem Gebet anzündet. Das Anzünden der Kerze soll symbolisieren, wie die Seele und der Verstand durch die Annäherung zu Gott erhellt wird. Auch diese Person kriegt ihr/sein Segensgebet und setzt sich wieder auf den Platz.

Der Dienst des der Ibrikci wird von einem Mann und einer Frau gemacht. Die beiden haben einen gefüllten Wasserkrug, eine Wasserschüssel und ein Handtuch, womit sie sich im Dar-i Mansur(Meydan) gegenseitig die Hände waschen und trocknen. Diese Reinigung sollte eigentlich von allen Teilnehmern durchgeführt werden, doch meist werden nur die Hände vom Dede, Rehber, Zakir und kleinen Kindern noch gewaschen und getrocknet. Nachdem die beiden mit ihrem Dienst fertig sind sagen Sie ihr Gebet auf, bekommen ihr Segensgebet vom Dede und nehmen wieder Platz.

Nach dieser symbolischen Reinigung kommt das Cem zum Mühürleme(Bekundung der Geschlossenheit). In diesem Teil wird betont, dass der Ayin-i Cem die Einheit der Gemeinschaft besiegelt und der liturgische Teil beginnt, wobei das Betreten und Verlassen des Cems nun untersagt ist. Im Folgenden wird durch Gebete und Lieder die Barmherzigkeit Gottes (Bagislama)und die Vergebung (Tövbe) der Sünden erbeten, auch durch religiöse Lieder und Hymnen, welche alle gemeinsam gesungen werden. Durch das gemeinsame Singen wird an die Einheit Gottes und Imam Ali gedacht. Während des Singens wippen die knienden teilnehmer mit den Oberkörper und schlagen sich rhythmisch auf die Oberschenkel. Dieser Teil wird Tevhit(Bekundung der Einheit) genannt. Mit einem Lied wird an die Himmelfahrt Muhammeds gedacht, welcher danach auf die Versammlung der 40 getroffen sei, das ganze heißt Miraclama, also die Darstellung der Himmelfahrt.

Vom Miraclama ausgehend wird der religiöse Tanz Semahausgeführt. Männer und Frauen drehen sich auf dem Meydan in einem geschlossenen Kreis zu dem schneller werdenen Spiel des Saz. Das Semah wird verschieden interpretiert, jedoch wird meist gesagt, dass es die Bewegung von Sonne und Mond darstellen soll und der Mensch sich dadurch Gott nähert. Nachdem die Semah Tänzer ihr Segensgebet vom Dede bekommen und sich hinsetzen, beginnt der SakkaDienst. Dieser Dienst besteht darin, dass eine Person mit einem Glas und einem gefüllten Wasserkrug zum Meydantritt, sein Gebet gibt und die Menschen im Cem mit Wasser bespritzt. Das dient dafür, dass die Menschen die Märtyrerqualen von Imam Hüseyin in Kerbela nachempfinden können. Bevor das Wasser auf die Menge gespritzt wird, wird es vom Dede mit einem Gebet geweiht und die Mersiye (Trauergesänge) über das Leid des Imam Hüseyin und seiner Gefährten beginnt. Es kommt vor das Teilnehmer laut weinen und gegen den Yezit, der für das Massaker in Kerbela verantwortlich ist, ausrufen. Erst danach werden die Teilnehmer mit Wasser bespritzt. Kurz bevor das Cem endet tritt noch der Diest des Kurbanci(Opfertierschlachter) vor. Diese Person ist zuständig für die Mahlzeit und kommt vor zum Meydan, um das Essen vom Dede absegnen zu lassen. Nachdem die Mahlzeit abgesegnet wurde, wird es an die Teilnehmer verteilt und alle fangen an gemeinsam zu Essen, nachdem der Dede ein Sofra Duasi(Tischgebet) gesprochen hat.

Zuallerletzt werden die Dienstpflichtigen Entlassen. Dies geschieht indem die Dienstpflichtigen nochmals vor dem Dede ihren Dienst ausüben. Das heißt die Süpürgecifegen nochmal den Meydan, der Postcunimmt das Schafsfell mit sich, der Ciragci löscht die Kerzen und alle versammeln sich vor dem Meydan, um einen abschließenden Segensspruch zu bekommen.

Das war ein Beispiel zum Verlauf eines Cem Rituals, natürlich gibt es Abweichungen in verschiedenen Orten und Gemeinden, da es wie anfangs schon erwähnt, unterschiedliche Ritualpraktiken gibt, aufgrund von Verfolgungen und Isolation, die damals stattgefunden haben.

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