Die „Befreiung“ Syriens von der Assad-Diktatur mag auf den ersten Blick eine der erfreulichsten Momente im Nahen Osten seit der Niederlage des IS zu sein. Dennoch kann ich und will ich die Euphorie, die überwiegend im Westen aktuell noch herrscht und die absurde Verharmlosung der Jidadisten als „moderat“ oder „pragmatisch“ nicht teilen.
Die Alternative zur einem säkularen Diktator in einem Vielvölkerstaat kann nicht ein islamistischer Staat Syrien sein.
Das von der Assad Diktatur und dem Krieg gepeinigte syrische Volk verdient alle Freiheit und jede Demokratie. Doch habe ich erhebliche Zweifel, ob diejenigen, die uns jetzt als Befreier präsentiert werden, das leisten können und überhaupt auch wollen.
Das Assad-Regime ist gestürzt, das ist gut so! Die Alternative zur einem säkularen Diktator in einem Vielvölkerstaat kann aber nicht ein islamistischer Staat Syrien sein, sondern eine säkularer, demokratischer und föderaler Staat. Al-Kaida und die IS – Idelogie regieren jetzt offiziell Syrien. Das ist eine unmittelbar bevorstehende Katastrophe- vor allem für Minderheiten wie der Alawiten, Jesiden und Christen. Die Alawiten vor allem stehen aktuell einem Rachefeldzug gegenüber, weil der Diktator Assad selbst ein Alawit war. Dabei waren die meisten Posten im Staat, Regierung und auch Militär mit Sunniten besetzt. Der Westen darf nicht wegsehen! Täglich werden von den islamistischen Banden der HTS weitere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Seit der Machtübernahme kommen Schreckens-Bilder aus den alawistischen Gebieten Syriens. Es finden Massaker, Folter und Vertreibung an der alawitischen Bevölkerung statt. Die Alawiten selbst befürchten einen Genozid wie an den Jesiden. Diese Befürchtung muss leider ernst genommen werden. Die Minderheiten im Nahen Osten wollen nicht immer wieder ihren Toten und massakrierten Menschen gedenken. Sie wollen die noch Lebenden verteidigen und retten. Diese Menschen brauchen dringend unsere Hilfe und Unterstützung. Nicht erst nach dem sie massakriert worden sind. Auch kann eine zukünftige Regierung in Syrien ausschließlich durch freie Wahlen unter Beteiligung ALLER Gruppen legitimiert werden. Währenddessen verspricht die EU dem Erdogan-Regime eine Milliarde Euro und stärkt ihm innenpolitisch den Rücken.
Wer will, dass keine Flüchtlinge mehr nach Europa kommen, der muss für ein demokratisches Syrien eintreten in der die Minderheiten- und Menschenrechte respektiert werden. Ich kenne in der Geschichte keine jihadistische und islamistische Terrorgruppe, die über Nacht zur überzeugten Demokraten mutiert sind. Übrigens al-Jolani hat erklärt, dass es erst frühestens in vier Jahren Wahlen stattfinden sollen. Die neuen Machthaber Syriens werden im Westen als Befreier dargestellt und angesehen, obwohl Sie in Wahrheit die Feinde der zivilisierten Welt sind.
Sie stehen bereits jetzt unter der Kontrolle der Türkei und Katars. Beide Länder haben in den letzten 20 Jahren von al-Qaida über IS bis Hammas den sunnitischen Islamismus und Jihadismus im Nahen Osten unterstützt.
Das ist eine Fata Morgana ein Wunschbild der westlichen Welt über die Islamisten, dass man uns die Jihadisten in neuer Gewandt erneut als Befreier auftischt. Wie schnell hat man die islamistischen Anschläge hier in Europa und den USA vergessen? Wir sind weiterhin gezwungen unsere Weihnachtsmärkte abzusichern. Vor wem eigentlich? Immer wieder kommt es im Westen durch sogenannte islamistische Schläfer zu Anschlägen auf die Zivilbevölkerung. Die Jihadisten haben schon vor Jahrzehnten dem Westen einseitig den Krieg erklärt. Und wir wollen das bis heute nicht zur Kenntnis nehmen.Der Anführer des HTS al-Jolani, der eine jihadistische Spitzenkarriere bei den schlimmsten Terrororganisationen von al-Kaida über IS und al-Nusra bis HTS hingelegt hat, ist ein Top-Terrorist. HTS, die derzeit die Übergangsregierung stellt, verfolgt eine radikal-islamistische Agenda, während die mehrheitlich muslimischen Kurden in Rojava eine säkulare, pluralistische Selbstverwaltung errichtet haben in der Frauen gleichgestellt sind und Minderheitenrechte gelten.
Die Kurden und die Minderheiten Syriens sind die wahren Verbündeten der freien und demokratischen Welt. Und nicht die Steinzeit Islamisten Syriens.
Es ist an der Zeit, dass auch die Regierenden der Freien Welt endlich das Selbstbestimmungsrecht des Kurdischen Volkes anerkennen. Und den Islamisten ins Gesicht „Jin Jiyan Azadi“ sagen. Das geht aber nur, in dem man nicht einseitig die Islamisten unterstützt, sondern die Hilfen für ein neues und freies Syrien an die Bedingung einer demokratischen Verfassung in der der Minderheitenschutz und Mitbestimmung aller Gruppen garantiert ist, knüpft. Die Verfassung Iraks könnte dabei als eine erste Orientierung und Diskussionsgrundlage dienen.
Ali Ertan Toprak
Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland